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Bericht von 1303
Bericht von 1937



Das Jahr 1303


Praefatio

Es ist für unsere Kirche nicht gerade ein Ruhmesblatt, daß ihre ersten beiden urkundlichen Erwähnungen ausgerechnet mit zwei Bluttaten zusammenhängen! War der Anlaß für die erste urkundliche Erwähung im Jahre 1301 noch in einer nicht näher bezeichneten Bluttat begründet, die nur eine einzelne Person begangen und demzufolge zur Sühne eine jährliche Buß-Leistung u.a. an unsere Stadtkirche zu erbringen hatte, so wirft die zweite Erwähnung im Jahre 1303 ein bezeichnendes Licht auf unser "christliches (und damit oft auch antisemitisches) Abendland".
Wie es oft bei derlei Ereignissen im Mittelalter ist, hat sich alsbald die Phantasie und die mystifizierende Verfremdung der Ereignisse bemächtigt. Es ist daher wohl kaum noch eindeutig zu klären, wie sich die Vorgänge wirklich abspielten. Zumal diese historischen Geschehnisse ungewöhnlich schnell in Vergessenheit geraten sind! Bereits zweihundert Jahre später verblasst der Ruhm des "seeligen Knaben Conrad Bächerer", obwohl er als Märtyrer galt und ihm in diesem Zusammenhang auch Wunderkräfte nachgesagt wurden. Er wurde sogar in bestimmten Notsituationen um Hilfe angerufen und mit Opfern bedacht. Während andere Märtyrer bis zum heutigen Tage verehrt und angerufen werden, ist die Erinnerung an den Jungen aus dem Gedächtnis gelöscht. Nur bei Kirchenführungen wird noch auf ihn hingewiesen.

Lassen wir nun die wenigen uns bekannten "urkundlichen Nachrichten" zu Wort kommen.


Andreas Toppius (1646)

"Im Jahre 1303 haben die Jüden einen Schüler zu Weissensee, dessen Name Conradus Bacherer, in der Marterwochen heimlich gemartert und mit Pfriemen unter den Nägeln an Händen und Füßen gestochen, auch das Blut zu allen Adern heraus gelassen, bis er gestorben. Da sie aber den Leichnam aus Weissensee hinweg geschleppet, ihn heimlich zu verscharren, haben sie nirgends damit, ob sie es gleich im Thüringer Lande hin und her versucht, in die Erde kommen können. Als nun offenbahr worden und ausgebrochen, hat Marggraf Friedrich, Landgraf Albrechts Sohn, sich dahin begeben und mit der Besatzung, so im Schlosse gelegen, und der ganzen Bürgerschaft Beystand, die Jüden angegriffen und allesamt todt geschlagen. Es ziehen Rivandri und Becherers Thüringische Chroniken den Mord dieses Knaben ins 1304. Jahr. Aber es ist hierin mehr zu glauben Sifrido, Prebystero Misnenti, Epit. hist. lib 2., der damahls, als dies geschehen, gelebt hat und es ins 1303. Jahr setzet, mit welchem auch übereintrifft das Datum des Fürstlichen Patents, davon bald weiter zu sagen.

Es wurden auch um dieses an dem Knaben begangenen Mords willen alle Jüden durch gantz Thüringen umbracht.
Da man nun den Schüler begraben wollen, und ihn in S. Peters Kirche getragen, soll in Beysein hochgedachten Landgraf Friedrichs ein Wunderzeichen dabey geschehen seyn, daß, ein Lahmer alsobald gesund und gerade worden, welches nach der Zeit Aberglauben die Papistischen Geistlichen dem Fürsten eingebildet, daß, es intercessione felicissimi adolescentis, durch des entleibten Schülers Conradi Fürbitte bey GOTT zu wege bracht sey, wie das Patent, so unter seinem Fürstlichen Nahmen an die Thurmkirche zu Meissen redet."


F.B von Hagke, Urkundliche Nachrichten, 1867

... Unter der Regierung des Landgrafen Friedrich I. ereignete sich im Jahre 1303 zu Weißensee ein merkwürdiger Fall. Es wurde nämlich eines Tages in aller Frühe in einer Hütte der Weinhöfe bei Weißensee ein Knabe und Schüler namens Conrad Bächerer, dessen Vater wahrscheinlich früher in Sömmerda ansässig gewesen war und daher Berld von Somerde, Ritter und Burgmann zu Weißensee genannt wird, aufgehängt gefunden.
Man bürdete nach der Sitte der damaligen Zeiten die Ermordung dieses Knaben sofort den Juden auf, welche der Sage nach vor jedem Osterfeste einen Christen zur Wiederholung der Kreuzigung Jesu töteten, und fand darin einen willkommenen Vorwand zu einer allgemeinen Judenverfolgung, nicht allein in der Stadt Weißensee und Umgegend, sondern in ganz Thüringen, wobei viele Juden erschlagen wurden und nur wenige mit ihrer Habe sich retten konnten.

Aus dem jedenfalls unechten Berichte, welchen der zur Untersuchung dieses Mordes von der Wartburg nach Weißensee gesandte Markgraf Friedrich an seinen Vater Albrecht den Unartigen hierüber Bericht erstattet haben soll (vergleiche: Olear. Synt. Thur. Tom. II. pag. 259, Mencken. scr. rer. germ. II. pag. 494, III. pag. 312, Joh. Rothe, Thür. Chron. pag. 500 und 593), ersieht man deutlich, daß die Legende des Stoffes sich sofort bemächtigt hat, denn nach demselben sollen die Juden nicht allein nicht im Stande gewesen sein, den guten seligen Conrad zu beerdigen oder zu verbergen, weil weder das Wasser noch die Erde ihn angenommen, weshalb sie ihn endlich aufgehängt hätten, sondern es sollen auch bei dem Begräbnis des höchstseligen Jünglings auf Intervention desselben bei der Mutter Gottes und den lieben Heiligen Zeichen und Wunder geschehen sein. ...


"Die Juden im thür.-sächsischen Gebiet während des Mittelalters"
Author: Dr. Siegfried Neufeld (1917)

... Deutlich tritt das Ritualmärchen als Veranlassung 1303 in Weißensee auf. Dort töten die Juden nach den Berichten einen Knaben Conrad, Sohn eines Bergmannes (gemeint ist "Burgmann") von Sömmerda, und werden deshalb nicht nur in Weißensee, sondern auch in einigen benachbarten Orten, jedoch nicht in Erfurt, getötet. Die Verfolgung wird anscheinend von Markgraf Friedrich, dem Sohn des Thüringer Landgrafen Adelbert, geleitet. In Erfurt werden sie nur infolge ihres vielen Geldes, mit dem sie sich loskaufen, verschont. Dass es sich wirklich um einen Ritualmord vor dem Pessachfest handelt, wird mit allen Einzelheiten nur in einer Quelle berichtet (Sifridi de Balnhusin). Ein jüdischer Bericht zählt uns die Namen der Opfer, im ganzen ca. 125 Personen, auf; Weißensee muß demnach, wenn es sich wirklich nur um Opfer aus diesem Orte handelt, eine recht ansehnliche jüdische Gemeinde gehabt haben, zumal anzunehmen ist, daß noch manche Juden sich zu retten wußten. Von den Nachbargemeinden, die gleichfalls von der Verfolgung heimgesucht wurden, nennt der jüdische Bericht Gotha mit 8 Opfern, ferner Kölleda und Bad Tennstedt ...



 
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